Zerlachweg
Das Wort Zerlach klingt fremd. Der Heimatforscher Liborius Scholz erwähnt es in seiner Chronik von Pfronten nicht und sein Kollege Johann Baptist Doser überliefert es zwar als Flurname, hat aber keine Erklärung dafür. Nur so viel war ihm klar, dass es etwas mit Wald zu tun haben musste, weil es im Vilstal ein Zerlachholz gab. Die abwegige Deutung, es sei ein Wald, in dem das Vieh bei großer Hitze wie toll hin- und herläuft (zerrt), gibt er aber nicht weiter.
Auf die richtige Spur bringt uns Benefiziat Hipp in seiner Kappeler Chronik, wo er bei der Erwähnung eines großen Brandunglücks schreibt: "Gut für eine Gemeinde, die mit einem reichhaltigen Zehrlach versehen ist". Damit wird klar, dass das Zerlach eine Waldung sein muss, in der man Bauholz schlagen konnte. Nun kann der Begriff auch richtig gedeutet werden. Er besteht aus zwei Teilen, einem Grundwort und einem Bestimmungswort. "Lach" geht auf das althochdeutsche Wort lôh zurück und bezeichnet ein Gebüsch oder einen Wald. "Zer" dagegen leitet sich aus einem ehemaligen Zeitwort ab, mit dem im Mittelhochdeutschen "verzehren, verbrauchen" gemeint war. Also ist das Zerlach ein Wald, den man verbrauchen kann, wenn das Holz benötigt wird. Dazu musste man ihn während seines Wachstums schützen, d.h. in den Bann legen.
Man sollte meinen, dass es in dem waldreichen Pfronten nie ein Problem mit Bauholz gab. Dem ist aber nicht so! Unsere Vorfahren brauchten jedes Gräslein, um ihr Vieh den Winter über füttern zu können. Sie rodeten deshalb auf den Bergen bis weit hinauf alle Stellen, die man für Weideland und zur Gewinnung von Heu benutzen konnte. Ein Foto, das so um 1900 aufgenommen wurde, zeigt den Edelsberg, wo nur noch die Gräben der Bergbäche einen Baumbestand zeigen. Nicht anders sah es am Breitenberg aus.
Raubbau an den noch vorhandenen Wäldern gab es auch. Um sich ein zusätzliches Einkommen zu verschaffen wurden immer wieder mal große Baumbestände abgeholzt und nach auswärts verkauft. 1788 z. B. dezimierte man in beträchtlichem Umfang den Wankwald, tief hinten im Vilstal. Dazu kamen noch die Pfrontener Kübler, die Holzfässer für den Versand vor allem von Gips herstellten. Welche Ausmaße diese Küblerei annahm, belegt eine Dokumentation, die 1816 dem Landgericht Füssen vorgelegt wurde. Danach würden sich in Pfronten 120 "Gemeindsindividuen" mit der Gipsfässer-Fabrikation beschäftigen. Sie hätten 36.000 kleinere und größere Behältnisse hergestellt und dazu das Holz aus den Gemeindewaldungen genommen. Wenn dieses Geschäft nicht gänzlich aufhöre, so der Berichterstatter, würde der Nachkommenschaft ein unersetzlicher Holzmangel drohen.
Es war also notwendig, immer wieder ganze Waldabteilungen zu bannen. Solche Flächen können archivalisch in Kappel, Weißbach, Kreuzegg, Berg, Ried, Meilingen, Steinach und Ösch nachgewiesen werden. Aber auch die anderen Ortsteile hatten zweifellos ein Zerlach, auch Röfleuten. Aber Letzteres war sicher nicht dort, wo heute mitten im Ort ein kurzes Sträßlein mit Zerlachweg benannt wurde. Hier gab es nie einen Wald, denn der fruchtbare Boden wurde intensiv als Ackerland genutzt.
Aber wenigstens ist hier ein uraltes Pfrontener Wort erhalten geblieben!
Bertold Pölcher in: Pfronten Mosaik Heft 62, August 2013