Theaterstraße
Sie hat schon bessere Tage gesehen, die Theaterstraße! Als man sie kurz vor 1950 angelegt hat, da hatte sie auf der ganzen Länge eine recht passable Breite. Zwischen dem Gebäude der Raiffeisenbank und dem ehemaligen Rieder Postamt hindurch konnte bequem ein Auto fahren, ohne dass ein dort flanierender Fussgänger sehr belästigt wurde. Jetzt ist die Straße hier nur noch ein Fussweg. Mit dem Auto kann man nur noch von der Krankenhausstraße her einfahren und zur Not noch östlich vom Kirchenweg her.
Damals, als man die Theaterstraße angelegt hat, musste sie viel mehr Verkehr bewältigen. Sie war nämlich ein wichtiger Zubringer zu dem neuen Kino, das 1949 von einem Füssener an ihrem westlichen Ende erbaut wurde und das schon ein Jahr danach vom Pfrontener Horst Rinschede übernommen worden war. 1958 habe ich dort den Film "Die Brücke am Kwai" angesehen und da waren die 400 Plätze fast alle besetzt. Den Fernseher als Heimkino gab es damals ja noch nicht.
In Pfronten hieß der Neubau "s Kino", aber der offizielle Name war "Filmtheater". Diese – vornehmere – Bezeichnung war sogar berechtigt. In den ersten Jahren übten hier nämlich die Mitglieder der Pfrontener Bauernbühne und präsentierten hier ihre Vorstellungen. Auch, nachdem die Schauspieltruppe des Kolpingvereins in die ehemalige Turnhalle an der Meilinger Straße umgezogen war, wurde im "Kino" immer noch Theater gespielt. In regelmäßigen Abständen gastierte hier nämlich das Schwäbische Landestheater von Memmingen, bis es im neugebauten Pfarrheim eine komfortablere Bühne fand.
In den 50er und 60er Jahren, da war der Betrieb eines Kinos in Pfronten offenbar ein lohnendes Geschäft und deshalb hat Horst Rinschede damals noch in ein zweites Kino in Pfronten investiert. Es fand seinen Platz im nicht mehr benutzten Sommerkeller vom "Goldenen Kreuz", wo früher Bier gelagert wurde und wohl auch ein Ausschank für die "verehrten Sommerfrischler" war.
Bald aber schon zogen dunkle Wolken für die Unternehmer von Kinos auf. Das "Kinosterben", das sich ab etwa 1960 mit der Ausweitung der Fernsehsendungen immer weiter ausbreitete, erreichte jetzt auch Pfronten. Zuerst musste das Ablegerkino seine Pforten schließen. Es wurde danach unter dem Namen "Tenne" zunächst als Disco weitergeführt und ist heute ein Bistro.
Aber auch das Filmtheater mit seinen immer noch 400 Sitzplätzen war bei weitem nicht mehr ausgelastet. Es wurde in den 80er Jahren auf den Besuch von höchstens 250 Personen reduziert. Doch auch das Angebot von Getränken während einer Vorstellung zog nicht mehr die erhofften Gäste an. Nur noch die wöchentlichen Vorführungen von "Ludwig II. - Glanz und Ende eines Königs", vor allem für Urlauber in Pfronten gedacht, sowie von Filmstreifen, die nicht mehr so ganz aktuell waren, hielten das Filmtheater einigermaßen über Wasser. Im Jahr 2012 aber war dann endgültig Schluss.
Das gibt Gelegenheit, noch einen Rückblick auf "theatralische Aufführungen" zu werfen, die in Pfronten schon eine lange Tradition hatten. Der Heimatforscher Liborius Scholz berichtet, dass der Hausname des Anwesens Nr. 396 in Pfronten-Dorf „Krimesse“ gelautet habe. Das sei darauf zurückzuführen, dass der dort wohnende Gerichtsschreiber Joseph Scheitler († 1789) in einem Theaterstück die Titelrolle des Räuberhauptmanns Cremes gespielt habe. Deswegen sei Scheitler und sein Anwesen so genannt worden. Ob´s wahr ist?
Vielleicht schon! Aber aufgeschrieben hat niemand solche Ereignisse, die etwas Abwechslung in den Pfrontener Alltag brachten. Solche "Lustbarkeiten" waren von der hohen Obrigkeit früher gar nicht so gerne gesehen. Wie leicht hätte es passieren können, dass der Inhalt eines Stückes nicht in die moralischen und politischen Vorstellungen der Staatsmacht passte? Da war es recht günstig, dass ein Veranstalter für Theateraufführungen um eine Lizenz nachsuchen musste. Das wissen wir für die letzten Jahrzehnte des vorletzten Jahrhunderts, wo die Gemeindekasse dreimal deswegen Einnahmen verzeichnete. 1877 beantragte der "Mechaniger Adolph Haaf" in Weißbach so eine Lizenz und noch einmal der Schulgehilfe August Hofmiller, der eine "theatralische Aufführung" beim Sattlerwirt (Krone) in Dorf plante. Beide Male kennen wir leider nicht den Titel des Stückes und auch nicht fünf Jahre danach, als ein Auswärtiger, der August Wagler, eine Lizenz erhielt.
Keine Gefahr für Sitte und Ordnung ging sicher von Theateraufführungen aus, bei denen ein Pfrontener Pfarrer die Regie führten. Im Alt-Pfrontener Photoalbum findet sich ein Portrait vom Pfarrer Dr. Ludwig Kohnle (1889 – 1903), wo er durch seine Kopfbedeckung offensichtlich eine Person des Alten Testaments darstellte. Auch der rührige Pfarrherr Josef Köberle (1914 - 1935) organisierte Aufführungen mit religiösen Themen. Im Gemeindearchiv liegt ein von ihm verfasstes Manuskript für ein "Krippen-Fest-Spiel in 2 Abteilungen".
Zur Zeit Köberles aber bekamen die Theaterspieler eine große Konkurrenz, denn jetzt "lernten die Bilder das Laufen". Man kann sich gut vorstellen, wie die Pfrontener eine anfangs noch tonlose Filmvorführung in irgendeinem Gasthaussaal mit offenem Mund bestaunten. Schade, dass keine Berichte darüber erhalten geblieben sind. Dokumentiert ist nur 1926 die Vorführung eines Films über die Gefahren der Tuberkulose im Stegmillerischen Gasthaus, heute der "Braugasthof Falkenstein" in Ried. Der Eintritt war – das darf vermutet werden – frei, denn die beiden Gemeinden Bergpfronten und Steinachpfronten haben damals rund 45 Mark dafür ausgegeben.
Eine Badstraße, wo man nicht mehr zum Schwimmen gehen kann, eine Ladehofstraße, wo nichts mehr umgeladen wird, und eine Theaterstraße, wo keine Theateraufführungen mehr stattfinden?
Man muss wahrlich Weitsicht haben bei der Vergabe von Straßennamen!
Bertold Pölcher (Pfronten Mosaik, Heft 64, 2015)