Rudolf-Wetzer-Straße
Das kurze Sträßchen, die Zufahrt zur evangelischen Kirche, könnte gut und gerne auch nur Wetzer-Straße heißen. Die Wetzer sind nämlich alteingesessene Pfrontener, von denen es so mancher verdient hätte, dass man eine Straße mit seinem Familiennamen benennt.
Die Geschichte der Wetzer in Pfronten beginnt gleich mit dem Einsetzen der ersten Urkunden in Pfronten-Dorf, ganz hinten im Gschön. Dort lebten um 1590 der Sensenschmied Simon Wetzer in der ehemaligen Hammerschmiede und die beiden Brüder Jakob und Mattheis Wetzer, ebenfalls Sensenschmiede, in der späteren Josemühle. Ihr Familienname wurde damals meist Wezer oder Wötzer geschrieben.
Spätestens 1645 lebte dann ein Lorenz Wetzer in Steinach, vermutlich schon damals im heutigen Gasthof Löwen. Er und seine Nachfolger entwickelten hier vielfältige unternehmerische Tätigkeiten. Ob sie damals schon eine Art Gaststätte betrieben, lässt sich nicht direkt nachweisen, dafür aber die Beteiligung des Lorenz Wetzer am einträglichen Fuhrgeschäft. Das war damals nicht nur der reine Transport von Waren, sondern auch - bei Gelegenheit - ihr An- und Verkauf.
Ab 1717 hat dann ein Severin Wetzer hier gewohnt und dem Anwesen den Hausnamen "Sevre" gegeben.
Von seinem Sohn Anton wird berichtet, dass er eine Gerberei betrieb und vermutlich auch eine Einkehrmöglichkeit unterhalten hat. 1784 jedenfalls wird er auch als Branntweinhändler bezeichnet.
Die Stammlinie der Wetzer führte dann dessen gleichnamiger Sohn Anton Wetzer, weiter. Er verheiratete sich nach Heitlern 422 und vertauschte schließlich dieses Anwesen 1814 mit der Adlerwirtschaft, die er noch im gleichen Jahr seinem Sohn Paul übergab.
Mit Paul Wetzer (1792 - 1871) beginnt ein völlig neues Kapitel der Familiengeschichte, denn er war nicht nur Wirt und Ökonom, sondern stellte auch Uhren her. Er muss neben Thomas Haff als einer der Stammväter der Pfrontener feinmechanischen Industrie angesehen werden. Bis dieser Erwerbszweig im bäuerlich geprägten Pfronten aber Fahrt aufnahm, war es noch ein weiter Weg. Paul Wetzer hatte zwei Söhne, die das Talent des Vaters zum Tüffteln und Mächeln geerbt haben.
Martin, der ältere, ging 1834 nach München und studierte dort am Polytechnischen Institut der Universität das Fach Physik. Nach Abschluss seiner Ausbildung ging er nach Hamburg und arbeitete in der Firma Repholds an der Herstellung von astronomischen Instrumenten. Seine umfassenden Kenntnisse und Fertigkeiten brachten den 26-jährigen dann 1840 an die neue russische Hauptsternwarte in Pulkowa bei St. Petersburg. Dort stellte er die astronomischen Geräte auf und ergänzte sie. Danach wurde Wetzer Leiter einer mechanischen Werkstatt in Helsinki, wo er für die dortige Universität technische Geräte erfand, konstruierte und anfertigte, darunter auch Beleuchtungsapparate für einen Leuchtturm im Bottnischen Meerbusen. Letztere fanden so viel Beachtung, dass ihn die finnische Regierung 1860 zum „Inspektor für die Beleuchtungsapparate im Lotsenwesen“ ernannte. Sozusagen nebenberuflich stellte Wetzer in einer kleinen Werkstätte für die finnische Garde in Handarbeit auf einer Drehbank Revolver her. Ihr Vorbild war das amerikanische „Belt Pistols Model 1851“. Nachahmerprodukte gab es also schon damals!
Martin Wetzers jüngeren Bruder Eduard hielt es ebenfalls nicht in Pfronten. Er scheint die gleiche Ausbildung genossen zu haben und schlug auch den selben Lebensweg wie sein Bruder ein. Wohl durch dessen Vermittlung kam auch Eduard als Universitätsmechaniker, wir würden ihn heute als wissenschaftlichen Mitarbeiter bezeichnen, nach Helsinki. Aus gesundheitlichen Gründen ging er aber dann nach Wien, wo er relativ jung verstarb und begraben ist, so erzählt sein Urenkel, der Pfrontener Fritz Wetzer.
Wie aber kamen die Wetzer überhaupt wieder nach Pfronten? Das war Hermann Wetzer (1847 - 1914), ein Sohn des Eduard. Der lebte als junger Mann bei seinem Großvater Paul im Gasthof Adler und absolvierte eine Lehre in der erfolgreichen Firma Haff. 25-jährig gründete er dann eine eigene Firma, mit der er 1873 in die Lenzenmühle am Platz des heutigen V-Marktes einzog. Die "Telegraphenfabrik Hermann Wetzer" hatte zunächst mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, zu mächtig war die Konkurrenz in der Schweiz. Erst durch die Vermittlung des Prinzen Ludwig von Bayern, der oft in Pfronten zur Jagd weilte und auch Gast im Hause Wetzer war, kam der Um- und Aufschwung. Nun bestellte die Bayerische Post und Eisenbahn immer mehr Telegraphen und schließlich kam das junge Unternehmen auch an lukrative Aufträge aus Übersee.
Der königliche Kommerzienrat Hermann Wetzer war auch sonst für technische Neuerungen aufgeschlossen. Als einer der ersten Pfrontener erhielt er 1898 eine Erlaubniskarte zum Fahrradfahren, die damals 1 Mark kostete. Seine Frau Elise war sogar die erste Pfrontenerin, die sich auf so einen "Drahtesel" getraute.
Jugendliche unter 18 Jahren erhielten diese Erlaubnis nur mit Einverständnis der Eltern und diese bekam auch der Sohn Rudolf Wetzer (1881 - 1958). 1898 war er erst 17 Jahre alt. Sportliches Radeln war aber sicher nicht seine Hauptbeschäftigung, in der Firma des Vaters gab es viel zu tun und dort erhielt Rudolf das Rüstzeug für einen erfolgreichen Unternehmer.
Schwere Zeiten brachen wieder einmal herein, als der Erste Weltkrieg ausbrach und Rudolf Wetzer ins Feld gerufen wurde. Zusammen mit dem Meister Victor Gräfe rettete Rudolfs Frau Lina die Firma in eine friedlichere Zeit hinüber. Dabei hat ihr sicher geholfen, dass sie im Umgang mit Geld sehr genau war: Einmal konnte, so wird berichtet, ein Dienstmädchen beim Einkauf das Wechselgeld nicht exakt herausbekommen und brachte dafür eine Schachtel Streichhölzer heim. Da aber monierte Frau Wetzer die Unkorrektheit und meinte, dass ihr das Wechselgeld lieber gewesen wäre.
Nach dem Krieg verschaffte das vielseitige Können Rudolf Wetzers, sein großer Ideenreichtum und sein enormer Fleiß der Firma wieder Weltgeltung. Immer mehr Pfrontener fanden "beim Wetzer" Arbeit und Verdienst. Aber auch für seine Heimatgemeinde hat sich Rudolf Wetzer sehr engagiert. Er förderte 1928 nach Kräften den Bau der (inzwischen abgebrochenen) Turnhalle an der Meilinger Straße und 1936 den Neubau des Pfrontener Krankenhauses.
Es ist kein Zufall, dass gerade das kurze Sträßchen zur evangelischen Auferstehungskirche in Heitlern den Namen Rudolf-Wetzer-Straße erhielt. Eduard Wetzer, der Großvater, hatte eine evangelische Hamburgerin geheiratet. Auf ihr Drängen, so will es die Familientradition wissen, sei er zum neuen Glauben übergetreten. Dem blieben auch seine Nachkommen nach der Rückkehr in das durch und durch katholische Pfronten treu. Die Wetzer sind also die ersten Pfrontener, die dem evangelischen Bekenntnis anhingen. Um die kleine, aber immer weiter wachsende Kirchengemeinde hat sich Rudolf Wetzer sehr verdient gemacht. Nachdem über Jahrzehnte hinweg ein Gottesdienst nur gelegentlich in einem ausgeräumten Schulsaal möglich war, gelang dem Kirchenvorstand Rudolf Wetzer der Kauf der Friedhofskapelle in Berg, der neuen Heimat der Pfrontener Protestanten - bis zum Bau der Auferstehungskirche in Heitlern.
Die Wetzer haben also viel für Pfronten getan: Sie waren Schmiede, Müller, Sägewerksbesitzer, Ökonomen, Wirte, Feinmechaniker und Fabrikbesitzer und haben so vielen ihrer Mitbürger Brot und Arbeit gegeben. Auch im sozialen Bereich haben sie sich als Stifter und Förderer engagiert. Kein Zweifel, die Wetzer in Pfronten hätten durchaus eine längere Straße verdient!
Aber die Rudolf-Wetzer-Straße kann man ja noch verlängern. Genug Platz dafür ist noch da!
Bertold Pölcher (Pfronten Mosaik, Heft 38, 2006)