Ladehofstraße
Noch gibt es sie, die ehemalige Güterhalle neben dem Bahnhof in Ried. An der Rampe konnte man früher größere Frachten zum Bahntransport abgeben oder auch abholen. Auf der östlichen Seite wurden auf einem Nebengeleis Güterwagen ebenfalls an eine Rampe heranfahren und so konnte man problemlos das Umladen des Stückguts von der Schiene auf die Straße abwickeln. Dieses Nebengeleis führte noch ein wenig weiter nach Norden. Dort füllte man noch in den 50-er Jahren die Kessel der Dampflokomotiven mit Wasser und dort war auch Platz zur Lagerung von sperrigem Frachtgut. Wo heute ein großer Parkplatz ist, da hatte z.B. der "Kohlen-Babel" Boxen für Koks und Briketts. Klar, dass man den daran vorbeiführenden Weg mit "Ladehofstraße" benannt hat.
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Bevor 1895 die Eisenbahnlinie Kempten – Pfronten-Ried eröffnet wurde, erstreckten sich auf dem Bereich des Rieder Bahnhofs die sogenannten Schroten- oder Dorerenäcker, ein wertvolles Ackerland. Man kann sich daher leicht vorstellen, dass die Besitzer dieser Grundstücke vom Bau der Eisenbahn gar nicht so begeistert waren. Deshalb haben die Planer im Normalfall auch ganz bewusst die Streckenführung so gewählt, dass sie möglichst immer auf einem Grund und Boden blieben, der nicht so ertragreich war. Das waren zwischen Kappel und Ried die moosigen Wiesen, die die Ach auch heute noch bei starkem Regen in einen See verwandelt. Diese Wiesen gehörten allen zusammen (Allmende) und dienten der Beweidung. An ihrem Rand, wo der Boden wieder fester wurde, aber eben auch noch Gemeinschaftsbesitz war, da versuchten die damaligen Ingenieure den Schienenstrang durchzuziehen. Nur wenn die Haltestelle eines größeren Ortsteils zu weit entfernt gewesen wäre, dann rückte man – wie im Falle von Weißbach oder Ried – näher an die Häuser heran.
Die erste deutsche Eisenbahn verkehrte bekanntlich ab 1835 zwischen Nürnberg und Fürth. Danach wurde das Streckennetz der "Ludwig-Süd-Nord-Bahn" immer weiter ausgebaut und erreichte 1852 von Augsburg und Kaufbeuren her kommend die Allgäu-Metropole Kempten. Spätestens jetzt machte man sich auch in Pfronten Hoffnungen, die Errungenschaften der neuen Technik genießen zu können. Aber erst zehn Jahre später ist ein Bahnprojekt von Kempten über den Fernpass nach Imst so konkret geworden, dass sich die Pfrontener damit befassen konnten. 1862 oder 1863 schickten sie einen Gemeindsmann zum Stadtmagistrat in Füssen, mit dem Auftrag, Informationen über den Stand der Dinge einzuholen. Bald darauf trafen sich dann Vertreter der an dem Projekt interessierten Gemeinden in Maria Rain, um eine Petition zu unterzeichnen. Für Pfronten war da der Gemeindevorsteher von Steinachpfronten Johann Georg Geisenhof dabei. Falls diese Bittschrift die Beschleunigung der Planung zum Ziel gehabt hat, war ihr kein Erfolg beschieden. 1868 bemühte sich "wegen Eisenbahnprojektierung" noch der neue Steinacher Gemeindevorsteher Matthäus Eberle nach Nesselwang, aber danach schliefen die Aktivitäten offenbar wieder ein.
Erst 16 Jahre später, 1884, kam dann wieder frischer Wind in das Projekt. Damals fuhr das Gemeindeoberhaupt von Bergpfronten, Xaver Furtenbach aus Weißbach 81, nach Kempten "bezüglich der Eisenbahn fragen". Die Auskunft, die der Bürgermeister erhielt, kennen wir nicht, wahrscheinlich ist er aber noch einmal vertröstet geworden. Erst ab 1888 ging es mit der Planung und dem Bau der Lokalbahn Kempten – Pfronten zügig voran. Die Einzelheiten dazu sind in der Festschrift zum 90-jährigen Jubiläum der Eisenbahnlinie ausführlich geschildert.
Bevor der erste offizielle Zug in Pfronten einrollte, fand schon am 4. November eine Probefahrt statt, und zu diesem Anlass dekorierten Arbeiter den Bahnhof. Dafür bezahlte die Gemeindekasse ihnen Bier und "Esswaren". Der Bauführer hieß übrigens Tischendörfer. Bei ihm beschwerte sich die Gemeindeverwaltung, weil "am Eingang zum Lagerplatz" (das Gelände des Ladehofes?) noch Eisenbahnschienen liegen würden und den Weg versperrten.
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Sonst aber waren die Baumaßnahmen am 1. Dezember 1895, dem Tag der offiziellen Eröffnung der Bahnlinie, weitgehend abgeschlossen. Vermutlich an diesem Tag präsentierte sich stolz die zahlreiche Festgemeinde einem Fotografen. Weil 1895 ein ganz besonders warmes Jahr war, ist es durchaus möglich, dass – wie auf dem Bild – tatsächlich anfangs Dezember kein Schnee lag. Auf jeden Fall war der Bahnhof mit seinen Nebengebäuden (Güterhalle, rechts und Toilettenhäuschen, links) fertig und auch die "Bahnhof-Restauration" des Joseph Furtenbach war für den Ansturm der Gäste bereit. Nur die "Bahnhofsstraße" war noch etwas schmucklos. Im April 1897 böschten deshalb Matthias Haf, Alois Doser und Liborius Scholz den ungeteerten Weg etwas an und pflanzten dort Weißdornsträucher. Aber die haben nicht überdauert!
Ja, die Zeiten ändern sich! Heute ist die Güterhalle nur noch Teil des alten Bahnhof-Ensembles und wird nicht mehr sinnvoll genutzt. Das Toilettenhäuschen ist eine Kneipe geworden und das kleine Gebäude, wo noch Mitte der 60er Jahre die "Eisenbahner" wohnten, ist bereits abgebrochen. Auch der Ladehof hat seine Funktion verloren und dient nun als Parkplatz. Damit gibt es eigentlich auch keine "Ladehofstraße" mehr.
Und wie lange haben wir überhaupt noch einen Bahnhof?
Bertold Pölcher in: Mosaik Heft 50, Juli 2012