Jagdhausweg
Das wird der Grund sein, warum die Mark zwischen Ried und Dorf dort so eigenartig verläuft, wo die Vils nach Süden abbiegt. Normalerweise bildet der Fluss genau die Grenze zwischen den einzelnen
Ortsteilen, doch hier im "unteren Weidach" greift die Flur von Ried über die Vils hinüber, so dass der heutige Jagdhausweg ein Feldweg war, der den Dorfgenossen von Ried gehörte.
Noch vor 150 Jahren nannte man den Weg allerdings nicht so. Damals hieß er nach seinem Endpunkt, der etwa beim heutigen Bahnübergang lag, "Weg in die Schinderweidachteile". Der Schinder war der
Abdecker, der gefallenes Vieh so zu entsorgen hatte, dass von ihm keine Gefahr für die gesunde Herde ausging. Welcher Platz wäre da nicht günstiger gewesen, als das abgelegene, unkultivierte Terrain
in der Vilsbiegung?
Um 1800 allerdings war das Vilsbett bei weitem nicht mehr so breit und der Verlauf des Flusses nicht mehr so wild und ungeordnet wie ursprünglich. Von der Bläsismühle bis zur Vilsbrücke herab und
noch ein Stück darüber hinaus war das Gewässer durch Uferverbauungen schon so weit korrektioniert, dass man auf die angrenzenden Flächen das Vieh zum Weiden treiben konnte.
Anfangs des 19. Jahrhunderts, möglicherweise 1806, getraute man sich sogar am Südufer der Vils, abwärts der Vilsbrücke, ein kleines Haus zu errichten. Dort wohnte, wahrscheinlich als Mieter der
Ortsgemeinde Ried ein Johann Hotter (1772 - 1834), ein ehemaliger fürstbischöflicher Jäger, der bei der Auflösung des Hochstifts Augsburg nicht in den Dienst des bayerischen Staates übernommen worden
war. Man nannte den Hotter allgemein das "Bussejägerle" und ließ ihn mit seiner Familie hier wohnen, weil die Gemeinde offenbar für seine Unterkunft zu sorgen hatte. Dem Bussejägerle ging es
anscheinend hier nicht gut, seine Behausung war ein sogenanntes "Lehrhaus", es gehörten also keine Felder und selbstverständlich auch kein Gemeinderecht dazu. Hotter war deshalb auf eine
Taglöhnerarbeit angewiesen. Bei der Geburt seiner Kinder wird er einmal als Hirte und ein anderes Mal als Maurer bezeichnet. Der Nachbar von Hotter war der nicht weniger unterprivilegierte
Gemeindediener "Mangkaddä" (Magnus Thaddäus) Trenkle, der wohl öfters beim Hotter zu Gast war. 1828 jedenfalls bekam Hotters noch nicht einmal 16jährige Tochter ein Kind von ihm. 1834 starb Hotter
altersschwach nach langer, mit großer Geduld ertragener Krankheit. Nach der Familie Hotter lebte im "Jägerhaus" dann wahrscheinlich der königliche Förster Joseph Föhr mit seiner Familie. Über ihn
geben die Akten im Pfrontener Gemeindearchiv nichts her.
Die "Hütte" des (ehemaligen Jägers) Johann Hotter und wahrscheinlich auch des Försters Föhr hatte im Grunde genommen nichts mit einem "Jagdhaus" zu tun. Das änderte sich erst, als der königliche
Forstmeister Clemens Heindl (1814 - 1884) hier aufzog. Das war vermutlich 1862, wie die abgebildete Postkarte zeigt. Heindl erwarb offenbar das gesamte Gelände zwischen Jagdhausweg und der Vils bis
hinab zur heutigen Eisenbahnlinie und ließ anstelle des alten, unansehnlichen "Jagdhauses" eine repräsentative Villa errichten.
Heindl genoss die Gunst des bayerischen Königshauses, das seit 1857/58 die Pfrontener Jagd gepachtet hatte. Es sieht so aus, als wollte damals König Maximilian II. und seine preußische Gattin Marie
die Bedeutung des Vertragsabschlußes durch ihre persönliche Anwesenheit unterstreichen. In der Fallmühle war jedenfalls schon alles zu einem festlichen Empfang hergerichtet. Klement Doser (von
Kreuzegg 128?) hatte Pulver für die Böllerschützen besorgt und Vorrichtungen zum Schießen aufgebaut und Joseph Füllenböck von Meilingen stand bereit, das königliche Paar musikalisch zu erfreuen. Dass
bei diesen Vorbereitungen auch eine ordentliche Brotzeit für die Beteiligten heraussprang, versteht sich von selbst. Doch dann kam alles offensichtlich doch anders, denn in den Gemeinderechnungen
wird nur von einem "vorhablichen" und "vermeintlichen" Besuch der hohen Gäste gesprochen. Tatsächlich in Pfronten war dann aber die Königin Marie mit ihren beiden Söhnen Ludwig und Otto. So
verkündete es jahrzehntelang eine Tafel an der ehemaligen Linde im Biergarten des Gasthofs Adler, wo es hieß, dass Ihre Majestät mit ihren Söhnen am 18. August 1861 hier geweilt habe.
Ob Marie damals auch das Jagdhaus beehrt hat, muss angezweifelt werden. Seine Glanzzeit kam erst, als Prinz Ludwig von Bayern 1869 für zunächst 15 Jahre die Pfrontener Jagd pachtete. Dieser Prinz
Ludwig darf nicht mit König Ludwig II. verwechselt werden, der sich - wie wir wissen - zwar öfters in Pfronten aufhielt, aber offenbar keine großen Empfänge liebte. Die Gemeinderechnungen jedenfalls
weisen - außer für das übliche Böllerschießen am Geburts- und Namensfest des Königs - keine entsprechenden Ausgaben auf. Der angesprochene Prinz Ludwig war sein Vetter, nämlich der Sohn des späteren
Prinzregenten Luitpold von Bayern. Dieser Prinz Ludwig war ein großer Freund der Jagd und demzufolge sehr oft in Pfronten. Schon zu Lebzeiten seines königlichen Vetters Ludwig II. mietete er für über
40 Jahre das ganze erste Stockwerk in der Villa an.
Jetzt herrschte ein reges Kommen und Gehen im Pfrontener Jagdhaus. 1888 besuchte es der Sohn von Prinz Ludwig, der erst 1955 verstorbene Kronprinz Rupprecht von Bayern, und ein Jahr danach wieder
sein Vater. Dabei wurde jedes Mal zu Ehren der hohen Gäste geschossen, was das Zeug hielt, und Bergfeuer leuchteten vom Breitenberg, Kienberg oder Falkenstein herab. Es war die Zeit des beginnenden
Fremdenverkehrs und da verstellt man schon mal etwas! 1895 veranstaltete man am Namenstag des Prinzen Ludwig sogar einen nächtlichen Umzug, wozu man 75 Fackeln beim Pechfabrikanten Joseph Haf in
Steinach anschaffte.
Inzwischen war im Jagdhaus eine Änderung eingetreten. Nach dem Ableben von Forstmeister Heindl hatte 1890 dessen Tochter Theresia (1869 - 1954) den königlichen Hauptzollamtskontrolleur Eduard
Bieringer (1851 - 1928) geheiratet. Aber auch jetzt gingen natürlich die zahlreichen Besuche der hohen Herrschaften weiter. 1897 kam Ludwigs Tochter, die Prinzessin Marie von Bayern, mit ihrem eben
angetrauten Ehemann Prinz Ferdinand von Bourbon, Herzog von Kalabrien, hier an. Dabei wurde ein Feuerwerk abgebrannt, das 37 Mark kostete und wofür man damals immerhin 150 Maß Bier bekommen hätte.
1899 wurde wieder ein Fackelzug am Namenstag des Prinzen Ludwig veranstaltet und im Jahr darauf verehrten die Pfrontener der Prinzessin Mathilde eine "Perlmuttermuschel" aus Bethlehem, die Pfarrer
Kohnle besorgt hatte. 1901 war man noch ein bisschen großzügiger: Prinz Rupprecht erhielt ein Jagdgewehr für 105 Mark. Dieses gute Stück hat sicher so manchem Pfrontener Wilderer aus Neid die Tränen
in die Augen getrieben!
Ein ganz besonderes Fest, bei dem das Jagdhaus sicher auch wieder einen großen Tag hatte, war der 90. Geburtstag des Prinzregenten Luitpold im Jahre 1911. Alles war auf den Beinen, in der Kirche
hatte man für den Jubilar einen Thron aufgebaut, die Musik rückte aus und für die Mädchen, die eine Lobeshymne vortragen durften, gab es Salzspitz und Würstchen.
Das war wohl das letzte Mal, dass das Jagdhaus den Prinzregenten sah. Aber auch für Prinz Ludwig, inzwischen nach dem Tod seines Vaters selbst Prinzregent, neigten sich die Jagdausflüge nach Pfronten
dem Ende zu. Im Mai 1913, noch vor seiner Ausrufung zum König Ludwig III. kam er noch einmal hierher und wurde von fähnchenschwingenden Kindern herzlich empfangen. Doch schon bald danach warf der
Ausbruch des 1. Weltkrieges seine Schatten voraus und da hatte der König wohl Besseres zu tun, als in Pfronten auf die Pirsch zu gehen.
Einmal noch, schon mitten im Krieg, reiste der Herzog von Kalabrien mit seinen Töchtern hierher. Das war sicher ein aufregender Tag für den siebenjährigen Eugen Bieringer (1908 -2000), als er auf
der sonderbaren Kutsche mitfahren durfte!
Inzwischen ist es um das Jagdhaus in "Bieringers Wäldle", wie man das ganze Grundstück heute nennt, ruhiger geworden. Die "gute alte Zeit", in der sich die höchsten Herrschaften hier die Hand
reichten, gehört der Vergangenheit an.
Bertold Pölcher (Pfronten Mosaik, Heft 12, 2001)