Brunnenweg
Im oberen Teil der Ortschaft Kreuzegg plätschert im Sommer noch immer das Wasser einer alten Viehtränke in einen betonierten Trog. Obwohl der Brunnen nun schon seit Jahren seine Funktion verloren
hat, wurde er nicht wegrationalisiert, vermutlich auch deshalb, weil das bei ihm abzweigende Sträßchen "Brunnenweg" heißt.
Während in den meisten Ortsteilen die Dorfbrunnen noch an der gleichen Stelle stehen, wurde der in Kreuzegg einmal verlegt. Wann das geschah, weiß niemand mehr, aber es muss vor etwa 100 Jahren
geschehen sein. Damals wurde in Pfronten nach und nach überall ein modernes Wasserleitungssystem aufgebaut.
Besonders die Kreuzegger werden über die Neuerung recht froh gewesen sein. Zuvor mussten sie nämlich ihr Wasser aus der Rehbichler Viehweide ins Dorf leiten. Sozusagen im "Ausland", nämlich in den
Rehbichler Plannummern 1361 und 1378, hatten sie zwei Brunnenstuben, wo ihr Wasser gefasst und dann in hölzernen Deicheln nach Kreuzegg geführt wurde.
Ein Problem war dabei sicher der relative tiefe Einschnitt des Rotbaches. Ob das sogenannte "Geleit" über den Bach – etwa auf Stelzen – geführt wurde, wissen wir nicht. Es wäre sicher ein
kompliziertes und vor allem störungsanfälliges Bauwerk gewesen.
Es war deshalb an eine Deichelleitung zu denken, die knapp unter der 880 m-Höhenlinie in einem weiten Bogen gegen Osten unter dem Rotbach durchgeleitet werden konnte. In einem Gegenbogen wäre man
dann auf Kreuzegger Flur gelangt. Dieser Verlauf des Wassers wäre zwar technisch möglich gewesen, aber in seiner Anlage und Erhaltung zweifellos nicht die kostengünstigste Lösung.
Gott sei Dank, hat Rupert Wohlfart in seinem Viehweidteil (Pl.- Nr. 1379/32) vor etwa 50 Jahren eine Deichel entdeckt und sich ihre Lage gemerkt. So wissen wir nun sicher, dass die Deichelleitung von
Rehbichel nach Kreuzegg einen ziemlich direkten Verlauf vernahm.
Das Problem des Rotbach-Einschnittes wurde – allem Anschein nach – durch eine luftdicht hergestellte Druckleitung gelöst. Dabei wird das Wasser nach dem Prinzip der kommunizierenden Röhren am Ende
der Leitung wieder auf die anfängliche Höhe gedrückt. So kam es von der tiefer gelegenen "Rehbichler Färrewies" (Pl.- Nr. 1196) wieder hinauf bis zur Gresselwies (Pl.- Nr. 1575) und konnte unterhalb
des Rehbichler Weges und der Zeller Straße in Richtung Kreuzegg fließen. Nach dem Umrunden von Buchers Baind gelangte das Wasser schließlich zum Kreuzegger Hauptbrunnen, der früher an der Stelle des
heutigen Feuerwehrhauses stand. Es liegt ziemlich genau auf der 875 m-Höhenlinie, so dass das ganze Kreuzegger Geleit auf seinem Weg nur etwas mehr als 5 Meter Gefälle aufwies. Vor der Leistung der
Kreuzegger Wasserleitungsbauer muss man also in jeder Hinsicht den Hut ziehen!
Nach der Herkunft des Wassers nannten sie den Hauptbrunnen "Rehbichler Brunnen". Hier musste man sich täglich mit dem kostbaren Nass versorgen und deshalb war er zweifellos ein zentraler Punkt im
Dorf. Hier wurden Nachrichten ausgetauscht, hier entstanden Differenzen und auch Freundschaften.
Aber die Kreuzegger hatten früher noch einen weiteren Treffpunkt. Das restliche Wasser des Rehbichler Brunnens lief nämlich durch eine Nebenleitung zu einem zweiten Brunnen, der vor dem Anwesen "beim
Pfaffe" (Am Gässele 1) platziert war. Der wird allerdings nur gesprudelt haben, wenn genug Wasser kam.
Das war aber nicht immer so und deswegen kamen die Kreuzegger und Rehbichler einmal ordentlich hintereinander. Der Grund war, dass die am Abend von der Weide heimkehrenden Rehbichler Kühe die
Kreuzegger Deicheln überqueren mussten. An dieser Stelle, westlich des heutigen Kolpingheims, hatten die Rinder den ohnehin weichen Boden fürchterlich zertrampelt. Ja, die Rehbichler Bauern
fürchteten schon, dass eines ihrer Tiere stürzen und sich etwas brechen könnte. Sie forderten deshalb von ihren Nachbarn, die Gefahrenquelle zu beseitigen.
Die Kreuzegger aber meinten, dass das Rehbichler Grund und Boden sei und, wenn etwas zu richten wäre, dann sollten die Besitzer den ausgesprungenen Platz selbst einfillen. Denn sie waren mit dem
Zustand wohl zufrieden, jedenfalls, so lange die Brunnen in Kreuzegg liefen.
Das ärgerte die Rehbichler sehr und – weil sie auch nicht auf der Brennsuppe dahergeschwommen waren – kam es zu einem Sabotageakt. Am Freitag, den 1. Juni 1787, versiegten in Kreuzegg plötzlich die
Brunnen und die Dorfbewohner machten ein langes Gesicht. Nachdem das begehrte Nass auch in den folgenden zwei Tagen nicht mehr austrat, merkten sie, woher der Wind wehte und es begab sich eine
Abordnung in Person des Franz Xaver Hitzelberger und des Hans Haf zum Amtmann. Der wollte die Sache selbst in Augenschein nehmen.
Der Ortstermin mit zwei weiteren Amtspersonen und Männern aus beiden Ortsteilen erbrachte schnell den Grund der Kreuzegger Wasserknappheit. Die Rehbichler hatten nämlich – wie es heißt – den über
anderthalb hundert Jahren ganz kostbar führenden Brunnen ganz eigenmächtig abgeschlagen. Mit anderen Worten: Sie hatten in ihrem Viehtrieb bei einer bereits freiliegenden Deichel etwas nachgeholfen
und sie so verschoben, dass der Wasserfluss unterbrochen war.
Gott sei Dank aber hatte der Amtmann keine große Mühe, die streitenden Parteien zu einer gütlichen Einigung zu bringen. Sie erklärten sich nämlich alsbald bereit, zusammen die Wasserleitung zu
reparieren und die Gefahrenstelle abzusichern. Dazu wurden die Deicheln wieder eingegraben und mit rauen Steinen – das sind unbehauene Steine – auf beiden Seiten verdämmt. Abschließend wurde das Werk
beschüttet, also bekiest. Damit hatten die Kreuzegger wieder ihr Wasser und die Rehbichler einen sicheren Viehtrieb.
Nur die Kosten für den Ortstermin waren noch offen. Von diesen lud der Amtmann den Rehbichlern ein bisschen mehr auf, weil die eigenmächtig gehandelt hätten. Mit der Entscheidung waren die Kreuzegger
froh, hatten sie doch wenigstens hier einen – wenn auch kleinen – Sieg davongetragen. Aber auch die Rehbichler waren zufrieden. Die zwei Gulden bezahlten sie aus der Hosentasche!
Ebenso wie der alte "Rehbichler Brunnen" existiert auch "Pfaffebrunnen" nicht mehr. Aber auch er hat einen Nachfolger gefunden. Vor etwa sieben Jahren wurde bei Maßnahmen zur Dorferneuerung oberhalb
von "Pfaffebrunnen ein neues Brünnele aufgestellt. Das haben die Ortsverschönerer historisch gesehen ganz richtig gemacht.
Und das, ohne es zu wissen!
Bertold Pölcher (Pfronten Mosaik, Heft 42, 2007)