Der Brauer- und der Rößleweg, beide erschließen ein Neubaugebiet, das ab etwa 1970 immer mehr erweitert wurde. Es entstand auf den Bainden vom "Hager" (alte Hs.- Nr. 47) und vom
"Wenzesse" (alte Hs.- Nr. 48). Ihren Namen bekamen die beiden Sackstraßen aber vom altehrwürdigen Brauereigasthof "Rößle", der am nördlichen Ortsende von Weißbach jahrhundertelang die durchziehenden
Fuhrleute zur Rast einlud. Schade, dass er in jüngster Zeit um seinen Ökonomieteil amputiert wurde.
Im Gegensatz zum Gasthof "Adler", wo schon 1519 ein Wirt bei St. Lienhard urkundlich belegt ist, suchen wir beim "Rößle" noch lange nach einem Hinweis auf einen Gastbetrieb. Fast am Ende des
Dreißigjährigen Krieges, 1645, besaß das Anwesen ein Hans Höss – und der war wahrlich kein armer Mann! Ihm gehörten damals mehr als 200 Metzensaat Ackerland, wo sich der durchschnittliche Pfrontener
Bauer gerademal mit 20 Metzensaat begnügen musste!
Eine Gastwirtschaft an der Landstraße war damals wohl eine Goldgrube und deshalb darf man mit einiger Berechtigung vermuten, dass schon Hans Höss Gastwirt und Bierbrauer war. Sicher wissen wir das
aber erst von seinem gleichnamigen Sohn, der 1662 ausdrücklich als Pierpräu bezeichnet wird. Auch sein Grundbesitz übertraf den seiner Mitbürger erheblich, allerdings hatte er nur noch etwa ein
Drittel von dem, was seinem Vater gehört hatte. Ist vill davon khomen, so heißt es in der Steuerbeschreibung von 1662.
Das siebte Kind des jüngeren Hans Höss war ein Sohn, der auf den biblischen Vornamen Isaak getauft wurde. Dieser Isaak Höss wurde der nächste Rößlewirt. 1687 ehelichte er Sophia Hacker, die Tochter
des hohenfreybergischen Amtmanns in Zell. Wie damals sehr oft üblich, heiratete auch hier Geld zu Geld! Allerdings bekamen die beiden keine Kinder, sicherlich mit ein Grund, warum es im Rößle in den
folgenden Jahrzehnten drunter und drüber ging.
Bei kinderlosen Ehepaaren galt nach uraltem Pfrontener Pfarrbrauch, dass nach dem Tod des überlebenden Ehepartners die Verwandtschaften von Mann und Frau je zur Häfte die Erbschaft antreten konnten.
Die Witwe des Isaak Höss, der im Alter von nur 55 Jahren 1720 seine letzte Reise angetreten hatte, versuchte aber offenbar, den größeren Teil ihres ansehnlichen Vermögens dem Neffen Hans Martin
Hacker aus Zell zuzuschanzen. Nicht ganz ohne Grund, denn Hans Martin hat der Witwe jahrelang treu gedient und hatte Anspruch auf einen erklecklichen Lidlohn, so nannte man damals durch Arbeit
verdientes Geld. Trotzdem führte das Ansinnen der Tante zu einem langwierigen Prozess, der bis an die hochfürstliche Regierung in Dillingen ging.
Hans Martin Hacker hat aber die Rößle-Wirtschaft, die wohl erst damals diesen Namen erhielt, bekommen. 1740 heiratete er Veronika Heel, die Tochter des sehr begüterten Kreuzwirts Martin Heel. So
weit, so gut! Leider aber hatten die beiden auch keine Kinder und so ging es nach Hans Martins Tod 1772 mit der Wirtschaft wieder mal abwärts. 1777 heißt es, dass die Witwe für das preÿ handtwerkh 40
fl Steuern bezahle, so aber sehr schlecht und der mahlen gar nit betrieben wirdt.
Die Witwe war seinerzeit schon 74 Jahre alt. Deshalb übergab sie ihr Anwesen an den Engelbert Stick, der den Vertrag mit "Engell bertus Stickh" unterschrieb. Er musste der Übergeberin für die
Rößlewirtschaft 3.200 fl bezahlen und ihr unter anderem auch im Herbst einige bonnen köffet verabreichen. Das ist das erste Mal, dass in Pfronten der Genuss von Bohnenkaffe erwähnt wird!
Engelbert Stick war ein umtriebiger Mensch. Mit der Schwester des Adlerwirts Johann Michael Reichart verehelicht, hatte er bei vielen Geschäften seine Hand drin und brachte bisweilen da auch seine
Finger hinein. Er nahm in Weißbach das Brauen von Bier wieder auf. Doch entweder war es nicht nach dem Geschmack der Pfrontner oder die konnten sich den edlen Gerstensaft nicht leisten. Jedenfalls
heißt es auch beim Stick, dass die Brauerei nicht gut ging. 1783 tauschte er die Rößlewirtschaft mit seinem Schwager, dem Adlerwirt, der schon bei der Übergabe versprochen hatte, seine Wirtschaft in
Heitlern einmal der Schwester Juliana überlassen zu wollen.
Der neue Rößlewirt Johann Michael Reichart, wie sein Schwager geschäftstüchtig, hatte aber eine glücklichere Hand bei seinen Aktivitäten. Er lieh sich mehrmals namhafte Kapitalien aus, doch waren
seine Investitionen nicht umsonst. Schon 1784 erkannte er offenbar, dass er als Bierbrauer im Weißbacher Rößle keine erfolgsversprechende Zukunft haben werde.
Er ließ zwar seine Wirtschaftsbehausung reparieren, doch gleichzeitig suchte er ein neues Standbein. Das war eine Ölmühle im Achtal hinten, wo Reichart alsbald begann, auch eine Wohnung einzubauen.
Damit kam er aber mit seinen Pfarrgenossen ordentlich hintereinander, denn nach Pfarrbrauch war nur der Bau eines gewerblichen Betriebes erlaubt, nicht aber die Errichtung eines neuen Anwesens, wo
einer "mit Feuer und Rauch" leben konnte. Damit bestand die Gefahr, dass zu den 434 Rechtlern noch weitere dazukommen könnten. Michael Reichart in der Fallmühle hat das schließlich trotz vieler
Widerstände doch noch geschafft, so dass es in Pfronten zuletzt exakt 435 Rechtler gab.
Zurück zur Rößlewirtschaft! Im September 1795 wurde sie dem Johann Martin Rist von Ried zugeschrieben. Er besaß zunächst nur 18 Metzensaat an Ackerland und eine Wiese mit einer ½ Tagmahd. Im Laufe
der Jahre aber konnte er seinen Grundbesitz mehr als verdreifachen. Das lag vielleicht auch daran, dass er bei seinen Mitbürgern angesehen war. "War ein sehr edler gerader Mann" schrieb der Pfarrer
bei seinem Ableben 1832 in die Sterbematrikel.
Der nächste Wirt und Brauer war Johann Evangelist Schallhammer aus Unterpeißenberg. Von ihm stammt angeblich das schöne Sonntagsgewand, das in einer Vitrine im Haus des Gastes ausgestellt ist. Er hat
damit sicher einen respektablen Eindruck gemacht, nur mit der Partnerwahl seiner beiden Kinder war er gar nicht zufrieden. Amalie hatte eine rührende Romanze mit dem Zeller Lehrer Johann Pfister, den
der Vater als Hungerleider ansah. Auch der gleichnamige Sohn Johann brachte nicht eine Wirtstochter ins Haus. Seine große Liebe war die Hammerschmiedstochter Marianne Hartmann in Heitlern. Beide
Kinder konnten erst
nach des Vaters Tod heiraten. Es muss damals wirklich ordentlich gekracht haben, im Rößlewirt, so sehr, dass der Sohn nicht einmal Wirt werden wollte. 1869 hat er das Anwesen verkauft.
Der nachfolgendende Besitzer Joseph Haf und sein Sohn Theodor waren die letzten Brauer im Rößle. Ab 1941 wurde hier kein Bier mehr hergestellt und 1954 verkauften die Geschwister Laura, Hedwig und
Joseph Haf den Gasthof an die Brauerei Weitnau.
Außergewöhnliches trug sich zu, als man Haf's Joseph zur Letzten Ruhe getragen hat. Nach altem Brauch in Pfronten darf es bei einer "Leich" erst dann etwas heiterer werden, wenn der Pfarrer nach dem
Mittagessen das Gebet gesprochen hat. Da der Joseph aber zu Lebzeiten ein lustiger und umgänglicher Mensch war, so hat die Trauergemeinde – das hat mir ein Teilnehmer glaubwürdig versichert – schon
vorher lustige Lieder gesungen.
So sollen sie mich auch mal auf die letzte Reise begleiten!
Bertold Pölcher (Pfronten Mosaik, Heft 44, 2007)